Papierhäuser sollen Not lindern

Veröffentlicht am: 07.01.2014

„Instant Homes“ ist der Name eines interdisziplinären Forschungsprojekts der Fachbereiche Chemie, Architektur und Maschinenbau an der TU Darmstadt. Das Ziel: Eine faltbare Notunterkunft aus Papier, die stabil, wetterfest, einfach aufzubauen und gleichzeitig wohnlich ist. Die Papierhäuser sollen Menschen nach Katastrophen ein Gefühl von Struktur und Ordnung zurückgeben.

Am 2. November 2013 fegte der Taifun Haiyan über die Philippinen und hinterließ Chaos, wo einmal Straßen und Häuser den Menschen Herberge und Halt gaben. Es wird dauern, bis wieder Ordnung und Normalität in die Region einkehren. Ähnlich war es 2010 auf Haiti. Wegen des schweren Erdbebens leben dort noch heute rund 400.000 Menschen in Auffanglagern: „In den drei Jahren nach der Katstrophe hat sich auf der Insel nicht viel verändert“, erzählt der Architektur-Professor Ariel Auslender. „Da sind Unorte entstanden. Und in solchen Situationen von Verlust und Chaos braucht der Mensch die wohltuende Wirkung des Geometrischen. Sie brauchen die Möglichkeit zu planen, Straßen und Infrastruktur zu schaffen.“

Auslender ist Bildhauer und Professor im Fachgebiet Plastisches Gestalten. Er betreut das Projekt Instant Homes am Fachbereich Architektur. Zu dem interdisziplinären Team gehört auch Professor Markus Biesalski vom Fachbereich Chemie. Sein Fachgebiet ist die Makromolekulare Chemie und Papierchemie. Auch der Fachbereich Maschinenbau ist mit Professor Samuel Schabel vom Fachgebiet Papierfabrikation und Mechanische Verfahrenstechnik beteiligt. Gemeinsam suchen die Wissenschaftler nach einer nachhaltigen Lösung für Notunterkünfte. Sie sollen den Menschen nach einer Katastrophe mehr Sicherheit, Privatsphäre und Struktur geben als Zelte oder provisorische Unterstände.
 

Vielseitiger Werkstoff – keine Massenware

Der Werkstoff der Wissenschaftler ist Papier: „Bisher begreift man Papier eher als Massenware denn als interessanten Werkstoff“, meint Biesalski. Doch das ändere sich. „Gerade Papierhersteller, die innovative Lösungen suchen, interessieren sich für unser Projekt“, sagt Schabel. Möglicherweise finde sich auch ein Unternehmen, das langfristig in das Projekt investiert.

Auslender ist optimistisch: „Die Papierindustrie ist auf der Suche nach neuen Einsatzgebieten, und solche Projekte sind interessant.“

Papier hat vielversprechende Eigenschaften – es ist biologisch abbaubar, billig, leicht, fest und gleichzeitig formbar. Doch bis daraus Häuser und ganze Siedlungen entstehen können, muss der Werkstoff optimiert werden. Jedes Fachgebiet, ob Chemie, Maschinenbau oder Architektur, steht dabei vor anderen Herausforderungen. „Wir haben uns getroffen, hatten eine Idee und jeder bringt jetzt das ein, was er kann“, beschreibt Auslender die Arbeit. „Wenn sich solche Konstellationen ergeben, ist das für mich Uni.“

Die Faltbarkeit der Notunterkunft war eine Schwierigkeit für die Architektur-Studierenden um den Künstler: „Die Häuser sollen vor Ort aufpoppen, also rein intuitiv, ohne aufwändige Anleitung aufgebaut werden können.“ Ein Semester lang entwarfen Studenten und Studentinnen Modelle solcher Unterkünfte. Die Origami-Falterin Kristina Wißling zeigte ihnen, was mit Papier möglich ist, beispielsweise wie ein stabiles Fundament gefaltet werden kann. Am Ende kürten Auslender und sein Team die besten Entwürfe. „Die Studenten und Studentinnen haben tolle Ergebnisse geliefert“, schwärmt er. Bewertet wurde neben dem Design auch die Umsetzbarkeit. „Außerdem war es uns wichtig, dass sich in den Häusern ein Wohngefühl entwickeln kann“, erklärt er.
 

Prototyp-Tests für 2014 geplant

Aus den besten Entwürfen wählten die Maschinenbaustudentinnen und - studenten ein Papierhaus aus, das sie dann auf die physikalische Umsetzbarkeit prüften. Und auch der Transportaufwand in die Krisengebiete sollte bedacht werde: „Die Häuser müssen zusammengefaltet möglichst gut in einen Container passen, damit sie mit dem Hubschrauber oder dem LKW transportiert werden können“, erklärt Maschinenbau- Professor Schabel. Die Studierenden führten zahlreiche Tests an verschiedenen Pappen durch: „Wie dick müssen die Wände sein, um das Dach zu halten? Wie muss das Dach konzipiert sein um Wind und Wetter Stand zu halten? Wie baut man die Türen, damit sie tausende Male auf und zu gemacht werden können? Und wie sehen konkrete technische Lösungen aus, welches Material eignet sich am besten?“, fasst Schabel die Herausforderungen für die Ingenieurinnen und Ingenieure zusammen.

Im Jahr 2014 wollen sie einen Prototyp bauen und Temperatur-Tests durchführen – in einer Testhalle. „Solange die Sonne scheint, könnten wir das auch im Freien, doch sobald es regnet, saugt sich die chemisch unbearbeitete Pappe voll, und das Haus wäre kaputt“, sagt Schabel. Hier ist das Fachwissen der Chemiker und Chemikerinnen gefragt.

„Wir brauchen Leute die entwerfen, solche die Papier herstellen und maßschneidern und uns, die Chemiker. Wir modifizieren die Papierfasern“, erklärt Biesalski vom Fachbereich Chemie. „Papier besteht aus Zellstoffasern, unbearbeitet ist es sehr saugfähig.“ Das sei ein Nachteil, vor allem für ein Hausdach. „Und bei der optimalen Beschichtung kommt die Chemie ins Spiel, ebenso bei der Herstellung tragender, also sehr fester Elemente“, sagt Biesalski. Auch nützliche Funktionen wie Brandschutz oder antibakterielle Wirkung seien mit der richtigen chemischen Bearbeitung des Papiers denkbar. Im Fachgebiet Makromolekulare Chemie und Papierchemie arbeiten die Wissenschaftler an verschieden neuen Beschichtungen für Papier. Die Ergebnisse dieser Forschungen könnten später auf das Haus übertragen werden. Und dann wird es vielleicht Realität: Ein stabiles, bewohnbares und wetterfestes Instant Home aus Papier.

 

Foto: Studentin Leila Chu zeigt Architektur-Professor Ariel Auslender ihren Entwurf eines Instant Homes. (© Sandra Junker / TU Darmstadt)

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Kommentar

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