Maßnahmenpaket bei Heidelberg

Veröffentlicht am: 15.07.2020

An den März 2020 werden wir uns wohl noch länger erinnern. Abgesehen davon, dass aufgrund des Coronavirus reihenweise Veranstaltungen abgesagt bzw. verschoben wurden, verkündete Heidelberg ein Strukturpaket, das es in sich hat. Und die Abfolge der Ereignisse lässt ein Nachdenken und so manche Überlegungen zu. Denn Heidelberg hat für die Zukunft des Unternehmens in gewisser Hinsicht einen Lockdown hingelegt.
Text: Michael Seidl

Zuerst sei eine kleine Rückblende gestattet: Im Laufe der letzten Monate hatte sich Heidelberg von zwei seiner Vorstandsmitglieder getrennt. Zuerst vom Technikvorstand Stephan Plenz, der nach über 30 Jahren in (angeblich) beiderseitigem Einvernehmen das Unternehmen im Juni 2020 verlassen wird. Dazu hieß es Ende des vergangenen Jahres zum Ausscheiden des seit 2008 dem Vorstand angehörigen Maschinenbauingenieurs, „dass Aufsichtsrat und Vorstand der Heidelberger Druckmaschinen AG entschieden haben, im Zuge der digitalen Transformation des Unternehmens die Führungsstrukturen weiter zu verschlanken und den Vorstand zu verkleinern“. Ein Kommentar im Handelsblatt formulierte dies anders, in dem gemeint wurde, dass beim Sparen auch in der Chefetage bei Heidelberg nicht Halt gemacht werde. Eine weitere – nicht offiziell bestätigte – Variante ist, dass Plenz über die nicht erfolgreichen Digitaldruckergebnisse mit der Primefire stolperte. Aber davon später…
Das Technologieressort wird seither vom Vorstandsvorsitzenden Rainer Hundsdörfer geleitet, der Einkauf wechselte in den Finanzbereich von Finanzvorstand Marcus A. Wassenberg, Vertrieb und Digitalisierung wurden bei Chief Digital Officer Prof. Dr. Ulrich Hermann konzentriert.
Anfang des Jahres dann die nächste mittlere „Bombe“: Aufsichtsrat und Vorstand von Heidelberg entschieden sich für eine weitere Neuaufstellung und Verschlankung der Führungsstruktur. So wurde der Vorstand auf zwei Personen verkleinert und besteht seither aus dem Vorstandsvorsitzenden Rainer Hundsdörfer und dem Finanzvorstand Marcus A. Wassenberg. Dafür soll die Ebene unterhalb des Vorstands mit einem neu eingerichteten Executive Committee deutlich gestärkt werden. Namen für diese neue Einrichtung ist man dem Markt – zumindest offiziell – noch schuldig geblieben. Im Zuge dieser „Anpassung der Organisationstruktur“ hat Prof. Dr. Ulrich Hermann das Unternehmen zum Ende des laufenden Geschäftsjahres 2019/20 im beiderseitigen Einvernehmen verlassen. Genau jene Person, die die Einführung digitaler Geschäftsmodelle im Bereich Internet of Things, das Subskriptionsgeschäft sowie die Gründung der Heidelberg Digital Unit (HDU) verantwortete. Einer zündenden Idee folgen sehr oft die tagtäglichen Umsetzungsprobleme in einem Apparat, der mit Offsetmaschinen umgehen kann, aber nicht mit Digitalisierung in dieser Form. Viele Verkäufer nahmen dem Vernehmen nach wieder den Hut, da sie das Subskriptionsmodell mangels fehlender klarer Direktiven nicht umsetzen konnten. Der Vergleich mit dem Digitaldruck liegt auf der Hand. Es arbeiten tolle Menschen an der digitalen Strategie bei Heidelberg, aber es benötigt Zeit und Geld, um ein Schiff wie Heidelberg auf den richtigen Kurs zu bringen und diesen dann auch zu halten.
Schon bei diesen Vorstandsentscheidungen konnte man erkennen – wenn auch nicht offiziell bestätigt –, dass der Aufsichtsrat der Heidelberger Druckmaschinen AG mit seinem neuen Vorsitzenden Dr. Martin Sonnenschein gemeinsam mit dem Vorstand gewillt ist, das Ruder herumzureißen.

Foto: Verziehen sich die Wolken über Heidelberg, oder wird Corona neue hervorbringen?

Das Spiel mit der Wahrheit
Seit Wochen war die drupa-Pressekonferenz von Heidelberg für den 13. März 2020 vor Ort in Heidelberg geplant. Aufgrund der Reisebeschränkungen wurde diese dann angesagt und in Form einer dreistündigen Telefonkonferenz abgehalten, bei der die Neuigkeiten für die Weltleitmesse präsentiert wurden, darunter auch Verbesserungen an der auf der drupa 2016 am Markt eingeführten Primefire. Der dafür zuständige Vorstand, Stephan Plenz, prognostizierte damals ein jährliches Verkaufsvolumen von rund 30 Maschinen. Bei der Pressekonferenz wurde eine entsprechende Anfrage beantwortet, dass man zehn Maschinen am Markt platziert habe. Also: Ziel weit verfehlt! Schön und gut, eine gewisse Zeit für eine Marktdurchdringung haben auch andere Anbieter von Digitaldrucksystemen an den Tag gelegt und ziehen ihre Projekte nach wie vor durch, wenn auch mit finanzkräftigen Kapitalpartnern, so etwa bei Landa mit Actega. Dessen Produktvorstellung reicht ja mittlerweile in das Jahr 2012 zurück. Ebenso das Beispiel der Fujifilm Jet Press, die ebenso eine lange Weiterentwicklungszeit benötigte und nun mit unzähligen Installationen weltweit aufwarten kann. Ein langer Atem ist offensichtlich wichtig beim Digitaldruck-Business, ein Atem, den man bei Heidelberg nie richtig haben konnte oder wollte. Einen Tag nach der Heidelberg Pressekonferenz verkündete die Messe Düsseldorf dann die Verschiebung ihrer Weltleitmessen interpack und drupa auf das Jahr 2021 – ein Schritt, mit dem man aufgrund der Coronavirus-Entwicklungen rechnen sollte.
Nach einigen Tagen folgte dann der echte Hammer: Heidelberg informierte in einer Aussendung am 17. März 2020 über ein massives Strukturanpassungskonzept, darunter die Einstellung der Bereiche Großformat und Primefire.
So gesehen kam Heidelberg die Verschiebung des drupa Termins aus aktueller unternehmenspolitischer Sicht nicht ungelegen. So kann man sich nun von „nicht profitablen“ Geschäftsbereichen trennen und sich im aktuellen Geschäftsjahr für die drupa 2021 rüsten, obwohl sich die Rahmenbedingen durch die Corona-Krise wahrlich verändert haben. Aus heutiger Sicht und als Beobachter der Branche seit vielen Jahren würde ich meinen, dass es sinnvoll gewesen wäre, den Ablauf der Ereignisse anders zu gestalten. Auch unter Berücksichtigung der Richtlinien, die eine AG einzuhalten hat, hätte man auf der drupa-Pressekonferenz sagen können, dass wichtige Entscheidungen anstehen und man das Ganze verschiebt. So hat man Journalisten drei Stunden mit teilweise runtergelesenen Informationen versorgt, die dann ein paar Tage später obsolet waren. Im Grunde ein PR-Gau, den der Marktführer in diesen Tagen abgeliefert hat.

Foto: Heidelberg CEO Rainer Hundsdörfer musste im März schmerzliche, aber bereinigende Veränderungen für das Unternehmen verkünden.

Die Veränderungen im Detail
Heidelberg hat in der Aussendung mittgeteilt, die Produktion der Primefire und des Großformates noch in diesem Jahr einzustellen. Man trennt sich damit von Bereichen, die „deutlich zu wenig Ertragskraft generieren“ und mit einem jährlichen Verlust von in Summe rund 50 Millionen Euro die Profitabilität des Unternehmens erheblich belasten. Eine Rückrechnung dieses Betrages und die Zeit vor 2016, also die Entwicklungszeit der Primefire, lässt ein mulmiges Gefühl aufkommen. Dieses hatte offensichtlich auch der Aufsichtsrat, der sich gemeinsam mit dem Vorstand zu dieser schmerzlichen aber notwendigen Entscheidung durchringen musste. Seit über zehn Jahren wurde am und im Unternehmen permanent „restrukturiert“ und „neu ausgerichtet“. Viele Heidelberger haben wohl nicht immer alles verstanden, was da in den letzten Jahren passiert ist, und dennoch dem Unternehmen die Treue gehalten. „Der Kern soll gefestigt werden“, hörte ich in den letzten Monaten immer wieder von genau diesen Menschen, die den Heidelberg Nimbus in der Industrie weiter hochhalten wollen und in einem herausfordernden Marktumfeld agieren.

Foto: Die Vorstände Stephan Plenz und Dr. Ulrich Hermann haben bzw. werden das Unternehmen verlassen.

Das Rettungspaket
Weiters wird man sich mit einem Rettungspaket durch die teilweise Rückführung von Liquiditätsreserven in Höhe von rund 375 Millionen Euro aus einem Treuhandvermögen des im Jahr 2005 gegründeten Heidelberg Pension-Trust e.V. gesundschrumpfen und damit eine sündteure Hochzinsanleihe bedienen. „Durch Konzentration auf das rentable Kerngeschäft und konsequente Anpassung der Kostenbasis soll eine Verbesserung beim EBITDA ohne Restrukturierungsergebnis von 100 Millionen Euro realisiert werden. Gleichzeitig wird durch die Rückübertragung von Liquiditätsreserven aus Treuhandfonds die Nettofinanzverschuldung nahezu vollständig abgebaut werden. „Dadurch soll sich die finanzielle Stabilität von Heidelberg deutlich verbessern“, wird argumentiert. „Die Neuausrichtung von Heidelberg ist ein einschneidender Schritt für unser Unternehmen, der auch mit schmerzhaften Maßnahmen einhergeht. So schwer uns diese Entscheidung gefallen ist, so notwendig ist sie, um unser Unternehmen wieder auf die Erfolgsspur zu bringen. Indem wir unprofitable Produkte einstellen, legen wir unseren starken, profitablen Kern frei. In diesem Bereich werden wir durch die Chancen der Digitalisierung die führende Marktstellung von Heidelberg weiter ausbauen“, so Vorstandsvorsitzender Rainer Hundsdörfer. Mit der Rückübertragung der Mittel aus dem Pensions-Fonds hat der Vorstand des Heidelberg Pension-Trusts entschieden, die Stabilisierung von Heidelberg zu unterstützen und das Treuhandvermögen auf das Maß zurückzuführen, das nicht von der gesetzlichen Sicherung von Pensionsansprüchen abgedeckt ist. Damit hat diese Maßnahme keine negative Auswirkung auf bestehende und zukünftige Pensionsansprüche. Zudem kontrolliert ein extra dafür eingerichtetes Gremium die Verwendung dieser Mittel.

Eine stille Reserve

Heidelberg hat offensichtlich über die Jahre eine „stille Reserve“ in Millionenhöhe in einem sicheren Pensionsfonds clever „ausgelagert“. Die Begründung auf unsere Anfrage war, dass man im Jahr 2005 über hohe liquide Mittel verfügt und diese aus strategischen Gründen parkte, um sich damit gegen die Übernahme von Heuschrecken zu wehren, die in dieser Zeit nichts anderes im Sinn hatten, als Unternehmen zu kaufen und dann je nach profitable Bereiche wieder weiter zu verkaufen. Das war auch die Zeit, als es Tendenzen gab, MAN Roland mit Heidelberg zu fusionieren. Eine Anmerkung darf dazu gestattet sein: Als die Finanzkrise 2008/2009 ausbrach und auch Heidelberg heimsuchte, wurde das Unternehmen mit 800 Millionen Euro von der öffentlichen Hand gestützt. Das damalige Management musste von dieser Reserve wissen und hat dennoch in die vollen Fördertöpfe des Staates gegriffen. Andere Zeiten, andere Vorstände und ein anderer Aufsichtsrat wohlgemerkt.
Mit der angekündigten Neuausrichtung geht, wie auch kommuniziert, eine Anpassung von Produktions- und Strukturkosten einher. Von den geplanten Maßnahmen werden insgesamt bis zu 2.000 Stellen weltweit betroffen sein, was auch Betriebsschließungen beinhalten kann. Details dazu wurden noch nicht genannt. Die für die Umsetzung des Maßnahmenpakets notwendigen Einmalaufwendungen werden in Abhängigkeit vom Ergebnis der Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern und bilanziellen Belastungen im Geschäftsjahr 2019/2020 in Summe auf rund 300 Millionen Euro geschätzt.

Schuster bleib bei deinen Leisten?
Nun, das könnte man beim ersten Hinsehen wohl annehmen. Heidelberg möchte sich mit den von „ganz oben“ getragenen Entscheidungen auf seine ursprünglichen Stärken konzentrieren und rund um seine ohne Zweifel tollen Offsetmaschinen ein Ökosystem gestalten, das mit digitaler Unterstützung den Anwendern das Druckleben erleichtern soll. Das erklärte Ziel: den Erfolg der Kunden künftig noch besser zu unterstützen und damit wieder nachhaltig zu wachsen. Der Schwerpunkt der künftigen Investitionen liegt auf der konsequenten „End-to-end“-Digitalisierung der Kundenwertschöpfung, also vor allem integrierte Systemlösungen für Maschinen, Software, Verbrauchsgüter und Performance-Services. Wie schon im Vorfeld bei Veranstaltungen – wie dem OPS in München – formuliert, wolle man eine branchenübergreifende IoT-basierte Plattform schaffen, auf der sämtliche Kunden-Lieferantenbeziehungen automatisiert abgewickelt werden können. Mit dieser Lösung sollen Druckereien ihre Produktivität nochmals deutlich verbessern können. Ebenso wird man das Subskriptionsmodell weiter verfolgen und ausbauen.
Mit diesen Veränderungen ist jedoch eines klar: Die Digitaldruckstrategie von Heidelberg ist vorerst einmal Geschichte. Vor Jahren verabschiedete man sich aus der Kooperation mit Kodak (NexPress) und nun von der Primefire, bei der man erkennen musste, dass der Markt diese Maschine nicht so akzeptierte, wie man ursprünglich prognostiziert hatte. Die Gretchenfrage ist nun, ob Kunden der seit Jahrzehnten aufgebauten Marke Heidelberg weiterhin ihr Vertrauen schenken werden. Ohne Zweifel baut Heidelberg nach wie vor sehr gute Druckmaschinen, die natürlich – den Zeiten angepasst – immer automatisierter und vernetzter geworden sind. Mit den aktuell getroffenen, für viele Beteiligte wirklich schmerzlichen Entscheidungen, zeigt sich aber eines: man versucht nach Jahren dem Unternehmen wieder sein Herz und seine ursprünglichen Stärken einzuhauchen. Es ist zu hoffen, dass dies gelingt… denn wie CEO Hundsdörfer pflegt zu sagen: „Heidelberg ist systemrelevant.“

Foto: Konzentration auf die Speedmaster im 70x100 Format plus entsprechende Automatisierungslösungen.

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Kommentar

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