Helmut Newton. Legacy: Zum 101. Geburtstag des Fotografen

Veröffentlicht am: 09.11.2021

Helmut Newton ist nur schwer zu fassen. Die meisten von uns glauben, sein Werk zu kennen, zumindest die wichtigen Aspekte. Doch hat der deutsch-australische Fotograf ein so einflussreiches und ikonisches Œuvre hinterlassen.

Helmut Newton, Thierry Mugler Fashion, US Vogue, Monte Carlo 1995 Dabei scheitert jede systematische Aufarbeitung, will man auch nur den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Und so ist auch diese chronologisch angelegte Ausstellung, die nach der Berliner Präsentation (31. Oktober 2021 – 22. Mai 2022) international auf Tour geht, nur eine weitere Annäherung an das vermutlich meistpublizierte fotografische Werk überhaupt. Es ist zeitgenössisch und zeitlos zugleich, es verzaubert und verstört uns bis heute. Seinen unnachahmlichen Stil fand Newton in Paris in den 1960er-Jahren, etwa mit einer Bildserie der damals revolutionären Modeentwürfe von André Courrèges, realisiert 1964 für die britische Zeitschrift Queen. Newton benötigte, das wird im Rückblick deutlich, gewissermaßen einen adäquaten Sparringspartner – das Aufeinandertreffen verwandter Seelen wurde zur Voraussetzung einer kongenialen Auftragserfüllung und schließlich zum Türöffner zur Avantgarde. Später wiederholte sich diese Symbiose in der intensiven Zusammenarbeit mit Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld oder Thierry Mugler. Seine weiblichen Modelle der 1970er-Jahre treten einzeln oder als Gruppe, mal lasziv und elegant, mal anarchisch und verspielt auf. Solche Modebilder irritierten und provozierten die Magazinleser, gleichzeitig kommentierten sie subtil die Radikalisierung der bürgerlichen Jugend. Doch bei Newton kann man nie sicher sein, wo die Realität endet und die Illusion beginnt. Er ließ sich bei seinen Inszenierungen stets von realen Situationen inspirieren.
In dieser Zeit entwickelte sich auch sein Interesse an der Porträtfotografie, unterstützt durch Aufträge zahlreicher Zeitschriften. Seine Porträts werden zu visuellen Kommentaren und Interpretationen der Schauspieler und Schauspielerinnen, der Künstler und Musikerinnen, er entwickelt für jeden und jede ein individuelles Szenario.
1981 erschien Newtons berühmte Serie „Naked and Dressed“ in der italienischen und französischen Ausgabe der Vogue und parallel in seinen Bildbänden. Auch wenn, rückblickend betrachtet, Anfang der 1980er-Jahre ein solcher Paradigmenwechsel vom durch Mode verhüllten Körper zur nackten Haut in der Luft zu liegen schien, war die Präsentation in derartigen Diptychen ein fundamentaler Tabubruch. Natürlich spiegeln sich in Newtons unzähligen Mode- und Aktaufnahmen für die renommiertesten Magazine weltweit auch die Veränderungen der gesellschaftlichen Rolle der Frau wider. Und wie kein Zweiter verstand er es, die Frauen während seines gesamten Schaffens metaphorisch auf einen Sockel zu heben, der nicht mehr wie in der früheren Modefotografie aus Galanterie bestand, sondern aus weiblichem Selbstbewusstsein. Die Modelle sind Subjekt und Objekt zugleich, sie sind stets handelnde Personen.
So entstand nicht nur ein außergewöhnlich charakteristisches und erfolgreiches Werk, sondern auch eines, das über die Verbreitung in den Zeitschriften ein Millionenpublikum erreichte. Seine genreübergreifende und provozierende Fotografie, die sich über sechs Dekaden erstreckte, entzieht sich jeder Kategorisierung. Konsum und Eleganz, Stil und Voyeurismus verband Helmut Newton zu einer unnachahmlichen, kaum zu entwirrenden Melange.
In June’s Room wird während der Laufzeit der Retrospektive eine Sonderausstellung zum Werk von June Newton alias Alice Springs gezeigt – im Andenken an die Stiftungspräsidentin, die im April 2021 in Monte Carlo verstarb und inzwischen neben ihrem Mann in Berlin zur letzten Ruhe gebettet wurde.
Zur Ausstellung erscheint die umfangreiche, gleichnamige Publikation im Taschen Verlag, hrsg. v. Matthias Harder, Hardcover, 24 x 34 Zentimeter, 424 Seiten, ISBN 978-3-8365-8458-6. In Vorbereitung befinden sich Helmut Newton-Ausstellungen in Sankt Petersburg, Barcelona, Melbourne und Monaco, mit Eröffnungen im Dezember 2021, im April und Juni 2022. Und „Helmut Newton. Legacy“ wird im Abschluss an die Berliner Präsentation ab Sommer 2022 in Antwerpen, Wien und Mailand gezeigt. Momentan sind einige ikonische Werke von Helmut Newton auch in der „Vogue“-Ausstellung im Palais Galliera (bis 30. Jänner 2022) und in der Thierry Mugler-Retrospektive im Musée des Arts Décoratifs (bis 24. April 2022) in Paris zu sehen.

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